Consensus 2008
"She loves me, she doesn't love me," becomes, "You love me, you don't love me," and finally, "You love yourself, you don't love yourself.
These are the questions the artist asks himself during the performance about the work "Konsens".
Like a lover who is driven by this question, the artist stands in the spotlight with a book in his hand, from which he tears out one page question after another. The book that is thus transformed into a love oracle is both the Bible and the Koran. In the end, only the spines of the book with page remains on a music stand on the artist's side.
Above the events, the title of the exhibition 'Konsens' shines in neon writing and combines the individual parts of the exhibition into a whole: A framed portrait of the artist, in the style of a preacher hangs on the wall. A pedestal, on which an empty glass cube and a monitor are placed, which allows a view of a washing machine, complete the structure of the work.
After tearing out the last page, the artist collects the paper and carries it to a washing machine in the basement. Through the live transmission to the monitor in the exhibition room, the visitor can watch as the pages of both books slowly merge into a single unit in the rhythmic sequence of the washing program. At the end of the spin cycle, the artist carries the paper mass upwards again and fills it into the glass cube.
Only letters and individual, small passages are left of the two powerful fonts, nothing can be assigned or captured anymore.

Konsens 2008
"Sie liebt mich, Sie liebt mich nicht", wird zu "Sie lieben mich, Sie lieben mich nicht" und schließlich zu "Sie lieben sich, sie lieben sich nicht".
Dies sind die Fragen, die der Künstler sich während der Performance zur Arbeit "Konsens" stellt.
Wie ein Liebender, den diese Frage umtreibt, steht der Künstler im Scheinwerferlicht mit einem Buch in der Hand, aus dem er Frage um Frage eine Seite herausreisst. Das Buch, das derart zum Liebesorakel umfunktioniert wird, ist einmal die Bibel und einmal der Koran. Am Ende bleiben nur noch die Buchrücken mit Seitenresten auf einem Notenständer an der Seite des Künstlers übrig.
Über dem Geschehen leuchtet der Titel der Ausstellung ‚Konsens’ in Neonschrift und fasst mit seinem Schein die einzelnen Teile der Ausstellung zu einem Ganzen zusammen: Ein gerahmtes Portrait des Künstlers, im Stil eines Predigers hängt an der Wand. Ein Sockel, auf dem ein leerer Glaswürfel und ein Monitor platziert sind, der den Blick auf eine Waschmaschine freigibt, komplettieren den Aufbau der Arbeit.
Nachdem der Künstler die letzte Seite herausgerissen hat, sammelt er das Papier ein und trägt es zu einer Waschmaschine im Keller. Durch die Live-Übertragung auf den Monitor im Ausstellungsraum, kann der Besucher dabei zusehen, wie sich die Seiten beider Bücher in der rhythmischen Abfolge des Waschprogramms langsam zu einer Einheit verbinden. Nach Beendigung des Schleudergangs trägt der Künstler die Papiermasse wieder nach oben und füllt sie in den Glaswürfel ein.
Nur noch Buchstaben und einzelne, kleine Passagen sind von den beiden mächtigen Schriften übrig geblieben, nichts ist nun mehr zuordenbar oder vereinnehmbar.

Raimund Stecker

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Dazu gehen Heiden

Man nehme den Koran und die Bibel. Entreiße jedem der beiden Bücher Seite für Seite wie einem Gänseblümchen Blütenblatt für Blütenblatt mit der stets auch als Frage betonten Behauptung: Sie liebt mich! Sie liebt mich nicht! Sie liebt mich…?

Man lasse alle herausgerissenen Buchseiten auf den Boden flattern. Trage sie anschließend zusammen und stopfe sie in eine Waschmaschine. Schließe dieselbe und schalte den Schonwaschgang mit viel Wasser ein. Nach ungefähr dreißig Minuten abpumpen und leicht schleudern. Man öffne die Waschmaschine und entnehme ihr den noch triefend feuchten Papierpulp. Wringe den Pulp und stopfe ihn in einen oben offenen, ca. 20 Zentimeter Kantenlänge messenden Acrylwürfel.

Das Ergebnis ist formal einfach – und doch komplex in seiner Bedeutung. Ein Kubus aus nach längerer Zeit ausgetrocknetem Papierpulp wird übrig bleiben. Sein Material, seine manifeste Substanz, sind die Seiten der beiden für die Weltreligionen Christentum und Islam fundamentalen Bücher. Und zwar in einer zu friedlicher Koexistenz geformten, nunmehr untrennbar verbundenen plastischen Form.

Ralf Berger unternahm diese Demonstration für die friedliche Koexistenz der beiden gegeneinander strebenden Weltreligionen am 25. Januar 2008 in der Kölner Galerie Luis Campaña. Und was sich im Diktum einer Rezeptur sehr prosaisch liest, vermochte der Künstler mit beeindruckender Intensität und ergreifender Würde zu zelebrieren, ja bühnenreif zu inszenieren.

Schon das Bühnenbild verfing. Das Ambiente glich dem von Fernsehbildern, die uns die Innenräume von bald wieder fliehenden Untergrundführern zeigen, die eine Videobotschaft aufzeichnen. Mikrophon, Lautsprecherboxen, Videokamera und Strahler waren improvisiert funktional in den Raum gestellt, um die Aktion aufzuzeichnen. Keiner investiert für solche Aufzeichnungen in Behaglichkeit, weil jeder weiß, dass diese Behausung nicht Heimat sein darf. Als pur würde diese Ästhetik in der Kunstwelt bezeichnet. „KONSENS“ als Neonschriftzug hing unter der Decke des Galerieraumes. Ein Fernseher stand auf dem Boden, der das Bullauge der Waschmaschine zeigt. In einem Bürobilderrahmen hing ein Porträt des Künstlers. Dieses präsentierte ihn wie einen Repräsentanten, der sowohl hätte Funktionär der Stasi sein können wie auch Logenvorsitzender einer religiös sektiererischen Vereinigung. Und, in Köln war noch ein leerer Bilderrahmen installiert. In ihn kamen anschließend die ihren Inhalten entledigten Buchdecken von Koran und Bibel.

Seit Jahren tritt Ralf Berger mit derartig einfachen, aber immer existentiellen Performances auf. Sei es, dass er sich auf einem wackelnden Kühlschrank so lange um die eigene Achse dreht, bis er schwindelig geworden vor das Publikum stürzt. Sei es, dass er in einem nur einen viertel Kubikmeter großen, geschlossenen Kubus sitzt und diesen innen unter immer größer werdender Atemnot anstreicht. Sei es, dass er so viele Luftballons aufpustet, bis ein ganzer Container gefüllt – und der Künstler zwischenzeitlich mehrfach dem Kollabieren nahe ist.

Immer stößt der Künstler während seiner Aktionen an seine physischen oder psychischen Grenzen. Und immer lösen seine Aktionen beim Betrachter Beklemmung aus – ebenfalls entweder physische, psychische oder wie im Falle von KONSENZ intellektuelle. Sie evozieren stets Angst und Mitangst, Betroffenheit und Mitgefühl. Sie lösen immer ein Über-Denken vermeintlich festgefahrener Positionen und ein Nach-Denken über vor-gefasste Meinungen, über Vor-Urteile. Sie lassen nie kalt. Sie engen die Befindlichkeit der Anwesenden im Publikum ein. Oft hilft einzelnen nur noch ein Scherzen, um übersprunghaft das Bedrückende zu kompensieren.

Bei KONSENZ kam diese Lösung von Beklemmtheit zeitversetzt, am Ende der Aktion wie von selbst. Sie war dem Werk wortwörtlich eingeschrieben, wenn auch im Ergebnis nicht vorhersehbar. Denn der Papierpulp zeigte noch Schriftfetzen, noch Buchstaben, Worte, ja Satzteile. Als Ralf Berger den Acrylkubus füllte, war eine signifikante Wortfolge zu lesen: „Dazu gehen Heiden“. Und an den Resten der Buchseiten, die noch an den Buchdecken hängen, ist „Glück wollen“ aus dem Koran zu lesen und „Philister“, „Rechten“, „Mose“… aus der Bibel.

Man mag den Zufall gering schätzen. Doch zu ignorieren ist er nicht. In der Kunst kommt er immer wieder zu seinem Recht und vermag so wie ein Analogon als Vorbild für andere gesellschaftliche Teilbereiche dienen. Bergers Artefakte seiner Performance, die im nachhinein wie ein Videotheater aufgebaut von seiner Aktion künden, sind ein augenfälliger Beleg dafür: Individuelle Mühen um friedliche Koexistenz, dargeboten in symbolischen Handlungen, bergen Zeichen für KONSENZ.

Raimund Stecker

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